Licht der Welt, das Interviewbuch Papst Benedikt XVI.

Meine Bilder (Foto: Berta Schurtenberger)
Meine Bilder (Foto: Berta Schurtenberger)
Papst Benedikt XVI. gibt ein Interview! Peter Seewald durfte dem Papst während insgesamt sechs Stunden Fragen stellen. Ein wunderbarer Einblick, was den Papst bewegt und wie er wirklich denkt. Es lohnt sich, dieses Buch zu lesen! Hier schon mal ein paar Auszüge.
Wie betet der Papst?
„Was den Papst angeht, so ist auch er ein einfacher Bettler vor Gott – mehr noch als alle anderen Menschen. Natürlich bete ich zuallererst immer zu unserem Herrn, mit dem mich einfach sozusagen diese alte Bekanntschaft verbindet. Aber ich rufe auch die Heiligen an. Ich bin mit Augustinus, mit Bonaventura, mit Thomas von Aquin befreundet. Man sagt dann auch zu solchen Heiligen: „Helft mir!“ Und die Mutter Gottes ist ohnehin immer ein großer Bezugspunkt. In diesem Sinn gebe ich mich in die Gemeinschaft der Heiligen hinein. Mit ihnen, durch sie bestärkt, rede ich dann auch mit dem Lieben Gott, vor allem bettelnd, aber auch dankend – oder ganz einfach freudig.“


Die Liturgie
Das ist ein ganz großes Kapitel. Es geht darum, dass man die Liturgie nicht als Selbstdarstellung der Gemeinde begeht, wo man sagt, es sei wichtig, dass jeder sich selbst einbringt, und wo am Schluss dann wirklich nur noch das „Ich selbst“ wichtig ist. Es kommt vielmehr darauf an, dass wir eingehen in etwas viel Größeres. Dass wir gewissermaßen aus uns selbst heraus und ins Weite gehen können. Deshalb ist es ja auch so wichtig, dass Liturgie nicht irgendwie selbstgebastelt wird.

Liturgie ist in Wahrheit ein Vorgang, durch den man sich hineinführen lässt in das große Glauben und Beten der Kirche. Aus diesem Grund haben die frühen Christen nach Osten, zur aufgehenden Sonne hin gebetet, dem Sinnbild des wiederkehrenden Christus. Sie wollten damit zeigen, dass die ganze Welt auf Christus zugeht und Er diese Welt ganz umfasst.

Dieser Zusammenhang mit Himmel und Erde ist sehr wichtig. Die alten Kirchen waren nicht von ungefähr so gebaut, dass die Sonne in einem ganz bestimmten Augenblick ihr Licht in das Gotteshaus wirft. Gerade heute, da uns die Bedeutung der Wechselwirkungen zwischen Erde und Weltall wieder bewusst wird, sollte man auch den kosmischen Charakter der Liturgie neu erkennen. Und ebenso den geschichtlichen. Dass diese nicht irgendwann irgendjemand einfach so erfunden hat, sondern dass sie seit Abraham organisch gewachsen ist. Solche Elemente aus frühester Zeit sind in der Liturgie enthalten.

Was das Konkrete angeht, so ist die erneuerte Liturgie des Zweiten Vatikanums die gültige Form, wie die Kirche heute Liturgie feiert. Ich habe die vorangegangene Form vor allem deshalb besser zugänglich machen wollen, damit der innere Zusammenhang der Kirchengeschichte erhalten bleibt. Wir können nicht sagen: Vorher war alles verkehrt, jetzt ist alles richtig; denn in einer Gemeinschaft, in der das Beten und die Eucharistie das Allerwichtigste sind, kann nicht etwas ganz verkehrt sein, was früher das Allerheiligste war. Es ging um die innere Aussöhnung mit der eigenen Vergangenheit, die innere Kontinuität des Glaubens und Betens in der Kirche.


Die Wahrheit
Es ist offenkundig, dass der Begriff Wahrheit unter Verdacht geraten ist. Natürlich ist richtig, dass er viel missbraucht wurde. Im Namen der Wahrheit kam es zu Intoleranz und Grausamkeit. Insofern fürchtet man sich davor, wenn jemand sagt: Dies ist die Wahrheit, oder gar: Ich habe die Wahrheit. Wir haben sie nie, bestenfalls hat sie uns. Dass man vorsichtig und behutsam damit sein muss, Wahrheit zu beanspruchen, wird niemand bestreiten. Sie aber einfach als unerreichbar abzutun, wirkt regelrecht zerstörerisch.

Ein Großteil der heutigen Philosophien besteht tatsächlich darauf, zu sagen, der Mensch sei nicht wahrheitsfähig. Aber so gesehen wäre er auch nicht zum Ethos befähigt. Dann hätte er keine Maßstäbe. Dann müsste man nur noch beachten, wie man sich einigermaßen arrangiert, und dann würde allenfalls die Meinung der Mehrheit zum einzigen Kriterium, das zählt. Wie zerstörerisch Mehrheiten sein können, hat die Geschichte jedoch genügend gezeigt, etwa in Systemen wie Nazismus und Marxismus, die alle insbesondere auch gegen die Wahrheit standen.

„Es entsteht eine Diktatur des Relativismus“, erklärten Sie in Ihrer Rede zur Eröffnung des Konklaves, „die nichts als endgültig anerkennt und als letzten Maßstab nur das eigene Ich und seine Wünsche gelten lässt.“

Deshalb müssen wir den Wagemut haben, zu sagen: Ja, der Mensch muss nach Wahrheit ausschauen; er ist wahrheitsfähig. Dass die Wahrheit Kriterien der Verifizierbarkeit und der Falsifizierbarkeit braucht, ist selbstverständlich. Sie muss immer auch mit Toleranz einhergehen. Die Wahrheit zeigt uns dann aber auch jene konstanten Werte auf, die die Menschheit groß gemacht haben. Deshalb muss die Demut, Wahrheit anzuerkennen und maßstäblich werden zu lassen, wieder neu gelernt und eingeübt werden.

Dass die Wahrheit nicht durch Gewalt zur Herrschaft gebracht wird, sondern durch ihre eigene Macht, ist der zentrale Inhalt des Johannes-Evangeliums: Jesus bekennt sich vor Pilatus als Die Wahrheit und als den Zeugen der Wahrheit. Er verteidigt die Wahrheit nicht durch Legionen, sondern macht sie durch seine Passion sichtbar und setzt sie dadurch auch in Kraft.


Das Priesterjahr
Unvergesslich bleibt Ihre Anklage am Kreuzweg des Karfreitags 2005, wenige Wochen, bevor Sie zum Nachfolger Johannes Pauls II. gewählt werden sollten: „Wie oft feiern wir nur uns selbst und nehmen Ihn gar nicht wahr? Wie oft wird Sein Wort verdreht und missbraucht?“ Und wie schon auf die Ereignisse der nahen Zukunft gerichtet: „Wie viel Schmutz gibt es in der Kirche und gerade auch unter denen, die im Priestertum ihm ganz zugehören sollten?“ Nun kommen ausgerechnet in dem von Ihnen ausgerufenen Priesterjahr diese ganzen Versäumnisse und Verbrechen ans Licht. Ist biblisch gesehen vielleicht nicht auch die Enthüllung dieser Skandale selbst als Zeichen zu begreifen?

Man könnte nun meinen, der Teufel konnte das Priesterjahr nicht leiden und hat uns daher den Schmutz ins Gesicht geworfen. Als hätte er der Welt zeigen wollen, wie viel Schmutz es gerade auch unter den Priestern gibt.

Andererseits könnte man sagen, der Herr wollte uns prüfen und uns zu einer tieferen Reinigung rufen, so dass wir das Priesterjahr nicht triumphalistisch begehen, als Selbstrühmung, sondern als Jahr der Reinigung, der inneren Erneuerung, der Verwandlung und vor allem der Buße.

Der Begriff Buße, der zu den Grundelementen der alttestamentlichen Botschaft gehört, ist uns zunehmend abhanden gekommen. Man wollte irgendwie nur noch das Positive sagen. Aber das Negative existiert eben, es ist ein Faktum. Dass man durch Buße ändern und sich ändern lassen kann, ist eine positive Gabe, ein Geschenk. So hat es auch die Alte Kirche gesehen. Es gilt, nun im Geist der Buße wirklich neu anzufangen – und gleichzeitig die Freude am Priestertum nicht zu verlieren, sondern neu zu gewinnen.

Und ich darf mit großer Dankbarkeit sagen: So ist es auch geschehen. Ich habe von Bischöfen, Priestern und Laien viele erschütternde, bewegende Zeugnisse der Dankbarkeit für das Priesterjahr bekommen, die einem zu Herzen gehen. Diese Menschen bezeugen: Wir haben das Priesterjahr als Anlass zur Reinigung aufgefasst, als Akt der Demut, indem wir wieder neu uns vom Herrn her rufen lassen. Und wir haben gerade dadurch auch wieder die Größe und Schönheit des Priestertums gesehen. In diesem Sinn, denke ich, waren diese schrecklichen Enthüllungen doch auch ein Akt der Vorsehung, der uns demütigt, der uns zwingt, wieder neu anzufangen.